Inklusives Austauschprojekt Teil 1 in Jakutsk

Im Jahr 2019 wird die Bildungskooperation für ein Gemeinschaftsprojekt des AMTV Hamburg und der Gyula-Trebitsch-Schule Tonndorf genutzt. Unter dem Motto „Brücken zum Dialog – interkulturell und inklusiv“ fliegt im Februar/März eine gemischte Gruppe aus Spielerinnen und Spielern mit geistiger Beeinträchtigung einer inklusiven Handballmannschaft und Schülerinnen und Schülern für ca. 10 Tage nach Jakutsk. Insgesamt besteht die Gruppe aus 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Schülerinnen und Schüler werden in jakutischen Gastfamilien untergebracht. Die Unterbringung der Sportler erfolgt in einem Internat. 

 

Die inklusive Handballmannschaft ist Teil der Freiwurf Hamburg Liga https://www.freiwurf-hamburg.de in der sich aktuell 5 Hamburger Sportvereine unter dem Motto „Handball für alle“ zusammengeschlossen haben.  In den Mannschaften bilden Menschen mit und ohne Behinderung ein Team. Sie trainieren zusammen und bestreiten Liga-Spiele im Hamburger Handball-Verband. Das Training der Mannschaft des AMTV findet in der Sporthalle der Gyula-Trebitsch-Schule Tonndorf statt. Der verantwortliche Trainer Max Rode ist Lehrer an dieser Schule. Mathias Burghardt, Russisch- und Physiklehrer an der Schule und Initiator der Bildungskooperation mit Jakutsk, ist seit 5 Jahren als Spieler und Betreuer in der Mannschaft. Bei früheren Austauschbesuchen haben sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler vom Sacha-Gymnasium aus Jakutsk am Training der inklusiven Handballmannschaft teilgenommen. So entwickelte sich bei einigen Spielerinnen und Spielern Interesse an einer Reise nach Jakutsk, die jetzt im Rahmen der Bildungskooperation gemeinsam mit einer Schülergruppe realisiert wird.

 

Auf mehreren Vorbereitungstreffen unter anderem im Rahmen von gemeinsamen Trainingseinheiten in der Sporthalle und  einer Teilnahme am Workshop „Mit Tanz zur Toleranz“ der Nader Etmenan Stiftung https://www.nader-etmenan-stiftung.de/mit-tanz-zur-toleranz lernt sich die Gruppe vor der großen Reise kennen. Während des Aufenthalts in Jakutsk nimmt die Gruppe dann gemeinsam mit jakutischen Schülerinnen und Schülern vom Sacha Gymnasium und von dem Internat an einem Programm teil, das in Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen und mit der Universität zusammengestellt wird. Im Vordergrund der projektartigen Begegnung stehen die Entwicklung von interkulturellen Kompetenzen, der Umgang mit Heterogenität und Andersartigkeit, gemeinsame Aktivitäten von Menschen mit und ohne Behinderungen und natürlich das Kennenlernen der extremen klimatischen Bedingungen. Im März ist zwar für jakutische Verhältnisse bereits Frühling. Temperaturen von bis zu -35°C stellen die Hamburger Gruppe aber vor besondere Herausforderungen. 

 

Am Mittwoch, den 27.02. startet die Reise um 03:30 Uhr morgens am Bahnhof Tonndorf. Mit dem Bus der Firma Stambula fährt die Gruppe zum Flughafen Berlin-Schönefeld. Um 10:00 Uhr geht es dann weiter per Flugzeug der Fluggesellschaft Aeroflot nach Moskau. Nach einem Aufenthalt am Flughafen Moskau-Sheremetjewo folgt der Weiterflug der Sonne entgegen in den Fernen Osten nach Jakutsk. Nach einem 7stündigen Flug wird die Gruppe dann am Donnerstag, den 28.02. um ca. 06:45 Uhr Ortszeit (+ 9 Stunden) bei voraussichtlich -30°C in der kältesten Stadt der Welt landen. Auf der Seite www.hamburgjakutsk.dekönnen die Aktivitäten der Gruppe in einem Blog verfolgt werden. 

 

 

Das Projekt wird von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, der Aktion Mensch und der Behörde für Schule und Berufsbildung gefördert. 

Tag 1: Wechselbad der Gefühle und Temperaturen

 

Die Reise nach Jakutsk startet am Mittwoch, den 27.2 morgens um 3:50 Uhr mit dem Bus am Bahnhof Tonndorf. Die geplante Abfahrtzeit 3:30 Uhr konnte nicht eingehalten werden, da eine Schülerin erst durch einen Telefonanruf um 3:25 Uhr geweckt wurde. Nach einer ruhigen ca. 4stündigen Fahrt ohne weitere Überraschungen erreichen wir um 7:45 Uhr den Flughafen Berlin Schönefeld. Vor dem Einchecken gesellt sich Petra zu uns, die Valentina, die jetzige Schulleiterin vom Sacha-Gymnasium, vor 43 Jahren im Rahmen einer deutsch-sowjetischen Brieffreundschaft kennengelernt hatte und nun die langersehnte Reise in das ferne Jakutsk antritt. Planmäßig um 10:00 Uhr verlässt die Boeing 737-800 von Aeroflot das mit 12°C frühlingshafte Berlin in Richtung Moskau. Die schneebedeckte Landschaft kurz vor der Landung im -3°C kalten Moskau lässt das Frühlingserwachen schnell vergessen. Beim Anblick der hochmodernen Terminals am Flughafen Sheremetjewo relativiert sich auch das Russlandbild der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die bisher lediglich aus den Medien über das größte Land der Welt erfahren hatten. Ein fahrerloser Airport-Express bringt uns von Termin D zu Terminal B, wo wir um 18:00 Uhr Moskauer Zeit (+2 Std.) an Bord Boeing 737-800 von Aeroflot gehen. Diese Mal liegt jedoch ein ca. 7stündiger Flug über den Ural und somit in den asiatischen Teil Russlands in den Fernen Osten vor uns. Die mittlerweile 12 Stunden dauernde Reise sorgt für eine aufkommende Trägheit, die in den recht engen Sitzreihen der nunmehr mit ausschließlich russisch- und jakutischsprachigen Mitreisenden vollbesetzten Maschine nur phasenweise zu Schlafphasen führt. Ein schmackhaftes Essen sorgt für etwas Abwechslung auf dem Nachtflug der Sonne entgegen und die Ankündigung der Landung auf dem Flughafen Jakutsk um 6:30 Uhr Ortszeit (+8 Std.), bei der der Pilot die Lufttemperatur von -30°C beiläufig erwähnt, macht uns unmissverständlich klar, dass wir bald den Boden der kältesten Stadt der Welt betreten werden. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der inklusiven Austauschgruppe sind Müdigkeit und Anspannung gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. Sie haben alle diese erste Herausforderung unserer Austauschreise mit Bravur gemeistert, unabhängig von vorhandenen oder nicht vorhandenen Russischkenntnissen oder anderweitigen Beeinträchtigungen. Leider hat sich ein Koffer unserer Gruppe wohl eher unfreiwillig entschlossen, einen Tag länger in Moskau zu bleiben und wird wohl erst morgen zu seiner Besitzerin kommen.

 

Die dadurch hervorgerufene leichte Eintrübung der Stimmung wird durch den herzlichen und warmen Empfang mit jakutischen kleinen Pfannkuchen und gegorener Stutenmilch durch Direktorin, Kolleginnen und Eltern vom Sacha-Gymnasium schnell wieder bereinigt. Wir werden darüber aufgeklärt, dass in Jakutsk endlich der Frühling Einzug erhalten hat und erhalten das Programm der bevorstehenden Tage. Die Schülergruppe und die begleitende Lehrerin folgen ihren Gastfamilien und die inklusive Handballgruppe wird von der für Planung und Organisation des Aufenthalts verantwortlichen Deutschlehrerin vom Sacha-Gymnasium zu einem gelben Schulbus geführt. Beim Verlassen des Flughafengebäudes begrüßt uns der jakutische Frühling und lässt vor Freude unsere Nasenhaare gefrieren. Frühlingsgefühle der etwas anderen Art. Der Schulbus bringt uns in das vor einem Jahr eröffnete Rehabilitationszentrum für Kinder mit Behinderungen und deren Eltern, das 10km vom Stadtzentrum Jakutsk entfernt in einer traumhaften Winterlandschaft liegt. Nach einer kurzen Begrüßung beziehen wir dort unsere Zimmer in einem Gästehaus. Nach einem sehr nahrhaften Frühstück russischer Art mit Würstchen, Reis und 2 Spiegeleiern folgt eine mittlerweile dringend notwendige Ruhephase, die von einigen Teilnehmerinnen bereits für den ersten Winterspaziergang bei -20°C und strahlendem Sonnenschein auf dem Gelände des Zentrums genutzt wird. Andere verbringen die Zeit in den mit bis zu 25°C etwas überheizten Räumen des Gästehauses. Diese extremen Temperaturunterschiede werden uns in den kommenden Tagen herausfordern. Um 16:00 Uhr werden wir dann alle zusammen in Anwesenheit von Vertretern von Außen-, Innen und Bildungsministerium der Stadtverwaltung Jakutsk feierlich mit einem musikalischem Rahmenprogramm begrüßt. Unter Gästen sind Lehrkräfte vom Sacha-Gymnasium und das Kollektiv und Kinder und Eltern des Reha-Zentrums. Um ca. 12:00 Uhr Hamburger Zeit, also 20:00 Uhr Ortszeit fallen die meisten von uns dann erfüllt mit tollen ersten Eindrücken ins Bett. Das erste Eis ist gebrochen, es ist ja schließlich Frühling in Jakutsk. 

Tag 2: Anders sein vereint

Der Wecker klingelt um 23:00 Uhr (Hamburger Zeit), im Gebäude +26°C, auf der Straße -26°C und Pulverschnee, zum Frühstück dicke Bockwurst mit Makkaroni, wahlweise auch Kascha – wo sind wir? Ach ja, in Jakutsk, im Fernen Osten Russlands. Nach ca. 11stündiger Schlaf- zumindest Ruhephase verspricht der 2. Tag mit Schulbesuch und Informationen zu Sprache und Kultur Jakutiens, Schulführung, Russischunterricht, Maultrommelspiel und Museum für nationale Kunst Jakutiens ein vielfältiges aber für einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch herausforderndes Programm.

 

Die gemischten Gefühle hinsichtlich der bevorstehenden Aktivitäten auf der Hinfahrt mit Konstantin in seinem gelben Schulbus verflüchtigen sich bereits beim Betreten des Sacha-Gymnasiums und dem Zusammentreffen mit den Schülern und Lehrkräften. Im Deutschkabinett führt uns Stepan, der Lehrer für jakutische Sprache, in die Geschichte und Kultur Jakutiens ein. Im Sprachenwirrwarr aus Jakutisch, Russisch und deutscher Übersetzung bleiben einige Informationen auf der Strecke. Dass Jakutien mit ca. 1 Million Einwohnern 6 Mal so groß wie Frankreich ist und Großbritannien die Permafrostrepublik 13 Mal ausfüllen würde, erstaunt dann doch alle. Während des Unterrichts werden wir von einem jakutischen Fernsehteam aufgenommen. Bald kennt uns die gesamte Republik Jakutien. Aus diesem Grund begeben wir uns nach der Stunde in die Sporthalle, in der wir uns morgen auf einem Handballturnier mit Mannschaften vom Sacha-Gymnasium und einer anderen Bildungseinrichtung für Menschen mit Behinderung messen werden. Eine kurze spontane Trainingseinheit mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums gelingt ausgesprochen gut, obwohl wir das erste Mal zusammentreffen. 

 

„Erstellt einen Entwurf für eine interessante und ansprechende Internetseite zum Thema 7 Wunder Jakutiens“ – so lautet die Aufgabe in der anschließende Russischstunde. Eigentlich eine machbare Aufgabe, wäre da nicht die besondere inklusive und sprachheterogene Zusammensetzung der Gruppen. Es geschieht ein kleines Wunder. Nach 45 Minuten sind vier Entwürfe auf DIN A3-Plakaten fertig und werden von den Teilnehmern auf Deutsch und Russisch vorgestellt.

 

Das Spiel auf der Maultrommel unter Anleitung der Musiklehrerin sorgt für Lippenkrämpfe und metallischen Geschmack auf der Zunge, das Ergebnis der ersten jakutischen Musikstunde kann sich aber trotzdem hören lassen. Nach dem Mittagessen und einer Ruhepause, die einige Schülerinnen und Schüler schnarchend im chilligen Ruheraum der Schulpsychologin verbringen, bringt uns Konstantin mit seinem gelben Schulbus zum Museum für nationale Kunst Jakutiens.

 

Eine spürbare Müdigkeit kann durch per App animierte Kunstwerke aus dem 19. und 20. Jahrhundert teilweise überwunden werden. Es halten aber alle durch. Ein Spaziergang durch das alte Jakutsk mit Besuch einer Russisch-Orthodoxen Kirche und kleineren Schneepulverschlachten (Schneebälle wehren sich bei -19°C erfolgreich gegen ihr Dasein) geht ein ereignisreicher Tag dem Ende entgegen. Auf dem Rückweg ins Rehabilitationszentrum dreht Konstantin in seinem gelben Schulbus „Moskau, Moskau“ von Dschingis Khan auf volle Lautstärke. Im Refrain singen alle „Wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land, ha, ha, ha, ha, ha!“. Anders sein vereint, erste Brücken zum Dialog wurden gebaut. Ein unvergesslich schöner Tag!

Tag 3: Was sind wir? Ein Team! Team-Bildung in Jakutsk

Team-Bildung Teil 1 findet statt im Museum für die Geschichte und Kultur der Völker des Nordens in Jakutsk. Während die Schülergruppe wieder am Unterricht in der Schule teilnimmt und das Spiel auf der Maultrommel perfektioniert, bildet sich das Freiwurf-Hamburg-Team in Völker- Tier- und Pflanzenkunde Jakutiens. Eindrucksvolle Wal- und Mammutskelette ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, die dann durch detailgetreue Standbilder und Darstellungen der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt Jakutiens und historischer Perioden bis in die Zeit der Sowjetunion aufrechterhalten wird. So erfahren wir unter anderem, dass die Stadt Jakutsk 1632 am Ufer der Lena gegründet wurde, 1/3 der männlichen Bevölkerung Jakutiens im 2. Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft hat und über 50% davon gefallen sind. Trotz der Entfernung zum Kriegsschauplatz hat der 2. Weltkrieg auch in Jakutsk seine Spuren hinterlassen. Erkenntnisse, die zum Nachdenken anregen.

 

Der strahlende Sonnenschein und der blaue Himmel lassen uns die Temperatur um -20°C fast vergessen. So geht der eine oder die andere ohne Mütze und mit offener Jacke auf die Straße. Nach wenigen Minuten meldet sich dann meist der Temperatursensor im Körper und schlägt Alarm – Jacke zu, Mütze auf, wir sind in Jakutsk.

 

Nach dem Mittag in der Schulkantine des Sacha-Gymnasiums und einer kurzen Ruhephase folgt mit dem sportlichen Teil des Tages Team-Bildung Teil 2. Auf dem Programm steht ein inklusives Handballturnier nach etwas abgewandelten Regeln. Neben unserem Team und einer Mannschaft vom Sacha-Gymnasium ist ein Team einer Internatsschule für Behinderte zu Gast. Es spielen 5 Spieler in jedem Team, anstelle der nicht vorhandenen Handballtore werden die Bretter der Basketballkörbe genutzt. Die Mannschaft erhält einen Punkt, wenn ein Spieler den Ball gegen das Brett wirft und dann ein Spieler aus der gleichen Mannschaft den Ball fängt, ohne dass der Ball vorher auf den Boden fällt. In 3 leidenschaftlich ausgetragenen Spielen treten alle sprachlichen und interkulturellen Unterschiede in den Hintergrund. Alle haben nur ein Ziel, sie wollen gewinnen. Auch wenn die Ergebnisse ein etwas anderes Bild ergeben, stehen am Ende nur Sieger auf dem Feld und alle Teams erhalten einen Pokal und Urkunden. Jedes Spiel wird mit dem Ruf von Freiwurf Hamburg beendet. „Was sind wir? Ein Team!“ 

 

Zurück in der Unterkunft wird dann der Mbemba-Effekt getestet. Hier ein Auszug aus Wikipedia:  „Der Mpemba-Effekt bezeichnet das Phänomen, bei dem unter bestimmten Bedingungen vormals heißes Wasser schneller Eiskristalle bildet als zuvor kaltes Wasser. Benannt wurde der Effekt nach seinem „Wiederentdecker“ (1963), dem tansanischen Schüler Erasto B. Mpemba.“ Die Bilder des kristallisierten heißen Wassers beim Sonnenuntergang in Jakutsk erfreuen nicht nur das Herz des Physiklehrers. Ein weiterer ereignisreicher Tag neigt sich dem Ende entgegen. Nach einem geschmackvollen Abendessen folgt eine kurze Abschlussrunde zum Tag. Beim anschließenden „Mensch ärgere dich nicht“ – Spiel wird die Teambildung teilweise auf eine harte Probe gestellt. Ich bin aber zuversichtlich, dass alles friedlich bleibt. Der morgige Tag steht ganz im Zeichen des Permafrostes. Doch dazu später mehr.   

 

Tag 4: Vom Himmelreich zum Königreich des Permafrosts

Der Sonntag ist auch in Jakutsk traditionell der Familientag, daher sind die Gastfamilien unserer Schülerinnen und Schüler für die Programmgestaltung verantwortlich. Die inklusive Handballgruppe besucht zunächst die Katholische Kirche des Heiligen Don Bosco und das dazugehörige Jugendzentrum. Die von Missionaren gegründet Kirche gibt seit über 20 Jahren und wird aktuell von einem Priester aus der Slowakei geleitet. Sie gibt katholischen Gläubigen aus Jakutsk eine Heimat und engagiert sich in der Sozialarbeit für Kindern und Jugendliche. Die Orgelmusik während der wöchentlich stattfindenden Gottesdienste kommt von einer Orgel aus Deutschland, die sich auch nicht zu schade ist, den von uns eingespielten Flohwalzer feierlich im Kirchenschiff erklingen zu lassen. Die Kirche selbst wurde unter anderem mit deutschen Spenden aufgebaut. Die Gemeindemitglieder kommen neben russischstämmigen Einwohnern aus Jakutsk von den Philippinen, aus Afrika und Vietnam. Im Jugendzentrum treffen sich Kinder und Jugendliche aus zum Teil schwierigen sozialen Verhältnissen zu verschiedenen Betreuungsangeboten und Aktivitäten. Schülerinnen und Schüler vom Sacha-Gymnasium stellen dort getrocknete Apfelscheiben und eine Gewürzmischung her, die dann verkauft werden. Wir alle sind von der multikulturellen Offenheit und freundlichen Atmosphäre begeistert. 

 

Mit der Wärme im Herzen sind wir dann gut ausgestattet für das Königreich des Permafrostes. Bevor wir jedoch dieses Königreich betreten, besuchen wir das ethnografische Freiluftgelände ЧочурМуран, gelegen an der gleichnamigen Hügelkette am Stadtrand von Jakutsk. Strahlender Sonnenschein, glänzender Schnee, Schlittenhunde und Rentiere machen einem bewusst, dass wir recht nördlich unterwegs sind. Die Fahrt auf der gelben Plastikbanane hinter einem qualmenden Schneemobil stören zwar etwas die Romantik, aber die Moderne ist eben auch im Fernen Osten angekommen. Nach einem sehr reichhaltigen und schmackhaften Essen im historischen alten Holzhaus auf dem Gelände fährt uns Konstatin mit seinem gelben Bus zum Königreich des Permafrosts. Ausgestattet mit einem orangenen Schutzhelm als Schutz vor herabfallenden Eiszapfen (Quatsch) begeben wir uns in einen ca. 100m langen Stollen im Berg, der bei stetigen -15°C optimale Bedingungen für Eiskristalle und Eisskulpturen bietet. An den Decken und Wänden funkeln die Kristalle, am Boden beeindrucken verschiedene von Künstlern aus Eisklötzen hergestellte Skulpturen zu verschiedenen Themen aus Kultur und Literatur. So findet man dort neben eisigen Mammuts und Gestalten aus der Sagenwelt auch eine Bar und ein Hochzeitszimmer komplett aus Eis. Wer möchte, kann dort seine Hochzeitsnacht verbringen. Für die heißen Momente muss das Paar dann selbst sorgen. Auf einer Curling-Bahn können wir dann unter Anleitung einer echten Curling-Spielerin, eine Freundin der Deutschlehrerin, ein Curling-Turnier ausspielen. Leider scheitern wir bereits daran, die Steine auf der rutschigen Fläche in der richtigen Art und Weise in Bewegung zu versetzen. Kurzerhand wandeln wir das Spiel in Eisbowling um. So gelingt es wenigstens, 1-2 Steine in die markierte Fläche zu stoßen. Im Fernsehen sieht es immer so elegant aus, wir schieben unsere „Unfähigkeit“ auf den Permafrost. So kommen wir ohne Schaden aus der Situation heraus und können erhobenen Hauptes mit Konstatin und seinem gelben Bus zu einem Aussichtspunkt im Skigebiet von Jakutsk fahren. Der Ausblick von dort ist grandios und entschädigt für die Curling-Erfahrung. Mit roten Wangen und erfüllt von vielen tollen Eindrucken im Himmelreich des Permafrostes geht es zurück ins Internat. 

 

Das Programm in den Gastfamilien ist nicht minder interessant, herausfordernd und abwechslungsreich. Zoobesuch, Schlittschuhlaufen, Pferdeschlittenfahrt, Permafrost-Stollen, Fotoshooting, die Familien geben sich wirklich alle Mühe, den Aufenthalt der Austauschschüler so angenehm und spannend wie möglich zu gestalten. Neben den Unternehmungen kommt auch das Familienleben nicht zu kurz, es wird zusammen gekocht, gegessen, gespielt. Die bisherigen Rückmeldungen sind daher auch nur positiv. Cool, spannend, interessant, eindrucksvoll, … eine kleine Auswahl der Stimmungsmeldungen per WhatsApp. Permafrost schweißt zusammen, physikalisch eher ein Widerspruch, menschlich möglich! 

Tag 5: Was haben wir eigentlich heute gemacht?

Mit dieser Frage wird die heutige Abschlussrunde im Internat eingeleitet und sie ist berechtigt. Die Eindrücke in Jakutsk sind so vielfältig, eindrucksvoll und zum Teil überwältigend, dass wir am Tagesende vor lauter Bildern und neuen Erfahrungen manchmal den Überblick verlieren. Nach kurzem Innehalten fallen uns zentrale Begriffe für den heutigen Tag ein – Feuer, Eis, Brillanten. 

 

Konstantin bringt uns mit seinem gelben Bus zunächst zur Feuerwehr. In einer modernen Wache, die mit neuen Löschfahrzeugen auf Iveco-Basis ausgestattet ist, erfahren wir die Einzelheiten über die besonderen Herausforderungen der Feuerwehr in dem extremen kontinentalen Klima. Bei Temperaturen zwischen von -20°C bis – 50°C wird das Feuer mit vorgewärmtem Wasser oder auch Löschschaum bekämpft, in trockenen Sommern wird die Feuerwehr häufig zu Wald- oder Balkonbränden, hervorgerufen durch weggeworfene Zigarettenkippen, gerufen. Die interessante Führung durch die Wache geht gerade dem Ende entgegen, kleine Gastgeschenke werden überreicht, da erklingt die Alarmglocke und innerhalb von wenigen Minuten sind Leiterwagen und Löschfahrzeug auf dem Weg zum Einsatz. 

 

Angelockt durch Sonnenschein und blauen Himmel bewegen wir uns zum Jakutsker Badestrand, der im Winter jedoch zum Eispark gefriert. Vielfältige Eis- und Schneeskulpturen 

schmücken den zugefrorenen Seitenarm der Lena, laute Musik ermuntert zu Bewegungs-übungen gegen die Kälte und auf Eisrutschen sorgt die hohe Geschwindigkeit für gefrorene Wimpern und Augenbrauen. Der Jakutsker Eisdom begeistert Gäste und Gastgeber gleichermaßen. Eispaläste laden zum Träumen ein und junge Eisskulpteure zeigen im Rahmen eines offenen Regionalwettbewerbs ihr Können an Eis- und Schneeblöcken. Permafrost macht kreativ. Auch am heutigen Tag hört man von mehreren Teilnehmern, dass sie (noch) nicht zurück nach Hamburg möchten. Ein Blick auf die Wetter-App verstärkt dieses Gefühl. Hamburg: + 10°C, Sturm und Regen. Jakutsk: – 20°C, blauer Himmel und Sonne. 

 

„Als Gott über Jakutien flog, erfroren ihm die Finger und er ließ alle Bodenschätze auf die jakutische Erde fallen“ – von dem Wahrheitsgehalt dieser Sage können wir uns in der „Schatzkammer von Jakutsk“ überzeugen, zu der uns Konstatin mit seinem gelben Bus nach dem Eispark fährt. Nach einer Sicherheitskontrolle wie am Flughafen, geleitet von einer „Generalin“ in Uniform, die nicht zufrieden ist, bevor nicht auch die letzte Jacke ordnungsgemäß auf einem Bügel hängt, erhalten wir einen Überblick über den Reichtum Jakutiens. Neben Gold, Silber und Platin und kommen 25% der Diamanten der Welt aus Jakutien. Verschieden wertvolle Gesteinsarten liefern das Rohmaterial für Kunstwerke aller Art und Stilrichtungen. Erdöl, Erdgas und seltene Erden ergänzen die Bodenschätze Jakutiens gewinnbringend. Der Permafrost beheimatet darüber hinaus große Mengen von Mammut-Elfenbein, das „gefördert“ werden kann, ohne dass dafür Tiere sterben. Die Mammuts sind bereits von mehreren 1000 Jahren ausgestorben.  

 

Ein Zusammentreffen mit dem inklusiven Theaterensemble „Der kleine Prinz“ in den Büroräumen des Wohltätigkeits-Fonds Charyskal rundet den ereignisreichen Tag mit warmen Worten und Erinnerungen an den Auftritt des Ensembles beim 11. Russischen Schuljahresabschluss im Ernst Deutsch Theater in Hamburg ab. Nach 2 Jahren erhalten die Teilnehmer endlich die langersehnten Urkunden. Besser spät als gar nicht. 

 

Unser Aufenthalt im bezaubernden Jakutsk feiert Bergfest. Vor uns liegen nun noch 4 weitere Tage. Fortsetzung folgt.

Tag 6: Globale Erwärmung – von Flüssiggas, Hundewelpen und guten Geistern

Der Sonnenaufgang am Morgen zeigt bereits erste Anzeichen eines bevorstehenden warmen Tages. Die schneidende Kälte hat einer etwas dunstigen, mit leichten Schneeflöckchen durchzogenen Luftströmung Platz gemacht. Die -15°C laden schon fast dazu ein, den Weg zur Kantine bei offener Jacke zu beschreiten. Der Frühling bahnt sich seinen Weg durch den Permafrost oder ist es doch die globale Erderwärmung, von der auch in Jakutsk immer häufiger die Rede ist.   

 

Wenn die Amerikaner wüssten, welche einzigartige Gasverarbeitungsanlage in Jakutsk steht, die Fracking-Gas alt aussehen lässt … Nein, wir wollen jetzt nicht politisch werden. Stellen wir lieber fest, dass man auch in Jakutsk nach alternativen Energiequellen sucht. Dass Russland in der Erdgasförderung weltweit auf Platz 1 steht, ist allgemein bekannt. Dass dieses Gas auch zunehmend verflüssigt wird, um es unter anderem als Treibstoff für Autos, Busse und Lastkraftwagen zu verwenden und ein Großteil der Busse im öffentlichen Nahverkehr aber auch zunehmend private Pkw mit Flüssiggas betrieben werden, überrascht uns dann doch. In der eher unscheinbaren Gasverarbeitungsanlage am Rande von Jakutsk werden wir in die Geheimnisse der Gasverflüssigung durch Abkühlung und Verdichtung eingewiesen. Im Anschluss folgt eine kurze Führung über das Gelände und spätestens bei der automatisierten Gasflaschenbefüllungsanlage ist bei allen das Interesse geweckt, schließlich kennen viele die Gasflaschen vom Camping und Grillen. Auch der gelbe Bus von Konstantin wird mit Benzin und Flüssiggas angetrieben. Nicht auf die Äußerlichkeiten, sondern auf die inneren Werte kommt es an.  

 

Der anschließende Besuch auf einem Reiterhof nimmt kurz nach Betreten des Pferdestalls eine unerwartete Wendung. Nicht die Pferde ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich, sondern 5 Hundewelpen, die sich auf die Besucher stürzen (oder war es umgekehrt?), lassen alle Herzen höherschlagen. Fragen nach Ausfuhr- Veterinär- und Zollbestimmungen stehen plötzlich im Raum und ich muss schon befürchten, dass sich die Anzahl der Gruppenmitglieder auf dem Rückflug um einige Vierbeiner erhöht. Die Äußerung der Hofbesitzerin, dass wir die Welpen ruhig mitnehmen können, trägt nicht gerade zur Beruhigung bei. Man einigt sich darauf, dass sie sich hinsichtlich der Ausfuhrbestimmungen erkundigen wird und sich dann telefonisch meldet. Ich ertappe mich dabei, dass ich mir das löchrige Mobilfunknetz aus Deutschland nach Jakutsk wünsche, damit diese Information uns erst nach unserem Abflug erreicht. Es gelingt den Pferden dann doch noch, unser Interesse zu wecken. Die friedlichen Tiere werden zu verschiedenen sportlichen Aktivitäten und auch zur Reittherapie in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung eingesetzt. Spätestens auf einer Fahrt mit dem Pferdeschlitten durch die weiße Winterlandschaft punkten die Pferde gegenüber den Welpen.

 

Während die Handballer das Zentrum für adaptiven Sport für der Stadt Jakutsk besuchen und dort unter anderem verschiedene jakutische Tischsportarten ausprobieren, erstellen die Schülerinnen und Schüler im Rahmen einer Partnerarbeit Plakate zum Thema „МосТТы– Brücken zum Dialog“, die am Abschlussabend präsentiert werden sollen. 

 

Auf dem Anwesen der jakutischen Familie Atlasоva, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die jakutischen Traditionen und Eigenarten zu bewahren, endet der Tag mit einem schamanischen Feuerritual, mit dem die Götter der oberen Welt um Schutz und ein glückliches Leben gebeten werden. Während des Spaziergangs auf dem Gelände geraten wir unerwartet in eine Eisbar mit Billardtisch, Bowling- und Curling-Bahn. Kalte Temperaturen verdichten anscheinend nicht nur das Gas, sondern auch die Kreativität. 

 

Das inklusive und interkulturelle Training in unserer Gruppe erfreut den Betrachter bei allen Programmpunkten. Das gemeinsame Erleben der vielfältigen Aktivtäten vereint, Unterschiede verschwimmen, alle unterstützen sich gegenseitig und jeder nimmt gemäß seinen Fähigkeiten an allem teil. Es wird gemeinsam gelacht, gestaunt, eingenickt, wieder aufgewacht, sprachliche Hürden werden genommen und aus vielen verschiedenen Individuen bildet sich eine Gruppe, die voneinander und miteinander lernt und verschiedenste Herausforderungen meistert. Die Betreuung der hiesigen Lehrkräfte ist herausragend. Das Programm ist eng getaktet, durch die tolle Organisation der Deutschlehrerin Maria klappt alles hervorragend und auch kleine Sonderwünsche werden erfüllt. Viele ertappen sich am Abend eines erfüllten Tages bei dem Gedanken, dass es nur noch 3 Tage so weiter geht. Fortsetzung folgt.

Tag 7: Mammofanten, Butterfest und internationaler Frauentag

Im gelben Bus von Konstantin fahren wir zunächst 10.000 Jahre in die Vergangenheit. Im einzigartigen Mammutmuseum von Jakutsk führt uns der dortige Leiter durch die Geschichte der Mammut-Forschung. Seit 2012 ein nahezu vollständig erhaltenes Mammutbaby mit flüssigem Blut im Permafrost Jakutiens gefunden wurde, träumen einige Wissenschaftler vom Klonen eines Mammuts. Die dann entstehenden Mammofanten könnten wieder in Jakutien ausgewildert werden. Es bleibt allerdings fraglich, ob ein geklontes Tier tatsächlich den hiesigen extremen Wetterbedingungen gewachsen ist. Bisher verliefen alle Klon-Versuche ohne Erfolg. Der Leiter des Museums glaubt aber fest an den Erfolg und beneidet die junge Generation, die dann in 20-30 Jahren ein echtes Mammut sehen kann, ähnlich der lebensgroßen Kopie im Museum, für dessen Haar 450 Pferdeschwänze verwendet wurden. Anton aus unserer Gruppe übersetzt die interessanten Erklärungen des Mammutforschers, der mit großer Leidenschaft von seinen Funden und Erlebnissen im Permafrost berichtet. Der über 8 Kilogramm schwere Backenzahn eines Mammuts lässt uns die wahre Größe dieser Bewohner Jakutiens aus vergangenen Zeiten erahnen. Da die Jagd nach Elfenbein von lebenden Elefanten verboten ist, findet das Mammut-Elfenbein in China einen großen Absatzmarkt. Der auftauende Permafrostboden Jakutiens enthält noch viele Schätze dieser Art und der Klimawandel trägt dazu bei, dass sich immer mehr „Schatzsucher“ auf den Weg machen. Die für diese Zeit eher ungewöhnlich warmen -10C° auf der Straße lassen befürchten, dass sich dieser „Elfenbein-Rausch“ in den kommenden Jahren noch verstärken wird. Und wenn das letzte Mammut-Elfenbein aus dem jakutischen Boden geholt wurde, ist vielleicht ein erster Klon geboren.

 

Der Nachmittag im Sacha-Gymnasium steht ganz im Zeichen von Tanz und Musik. Durch die nach Jakutsk zurückgekehrte Grippewelle (von der wir bisher zum Glück verschont geblieben sind) steht mittlerweile die ganze Schule unter Quarantäne. Alle Klassen sind bis Freitag vom Unterricht befreit. Daher fallen die für diesen Nachmittag geplanten Feierlichkeiten auch etwas kleiner aus als geplant, was die Stimmung aber nicht nachhaltig stört. Ein Ensemble aus echten russischen Großmüttern macht uns mit den musikalischen und kulinarischen Geheimnissen des Butterfestes (Masleniza) bekannt. Bei diesem Fest zum Frühlingsanfang wird das Ende der dunklen Jahreszeit mit fröhlicher Musik und mit selbstgemachten Pfannkuchen gefeiert. Auf traditionellen Instrumenten werden eingängige Melodien gespielt, lustige Volkslieder erzählen von der Liebe und anderen Frühlingsgefühlen. 

 

Im Rahmen eines „Musikfestivals“, das aufgrund der Quarantäne vor überschaubarem Publikum in der Schulaula stattfindet, treten Schülerinnen und Schüler vom Sacha-Gymnasium gegeneinander an. Den Rahmen des Spektakels bilden ein von uns einstudierter Tanz und 2 Lieder – „Bruder Jakob“ auf Deutsch, Englisch und Russisch und natürlich „Moskau“ mit etwas abgewandeltem Text. So heißt es dann in der zweiten Strophe:  

 

Jakutsk // Kalt und sehr eindrucksvoll // Menschen so liebevoll // Wir wollen nicht gehn! // Jakutsk // Wir wollen dich wiedersehen // Müssen bald leider gehen // Du bist so schön!

Jakuten hey hey hey hebt die Gläser  // Maria ha ha ha du bist schön  // Sacha hey hey hey auf die Schule // Auf dein Wohl Sacha hey Sacha ho

Jakutsk Jakutsk Jakutsk ist ne tolle Stadt  // Es geht immer alles glatt // Hahahahaha hey
Jakutsk jakutsk eure Freundschaft gibt uns Kraft  // Alles man gemeinsam schafft // Hahahahaha hey

 

Als Zeichen der entstandenen Freundschaftsbrücke präsentieren die Schülerinnen und Schüler mit ihren Partnern aussagekräftige Plakate zum Projektmotto "МосТТы - Brücken zum Dialog". 

 

Das Lied, das ganz aus unseren Herzen spricht, kommt so gut an, dass wir es auf dem anschließenden Kollegiumsfest des Sacha-Gymnasiums zum 8. März, dem internationalen Frauentag, nochmal präsentieren. Unter dem Motto „Eine musikalische Reise um die Welt“ treten verschiedene Lehrerinnenensembles auf und performen Lieder von Boney M und anderen Pop-Gruppen. Da liegen wir mit Dschingis Khan genau im Trend. Nach einer ausgelassenen Feier mit selbstgemachten Speisen und alkoholfreien Getränken (von wegen Russen und Wodka), fährt uns Konstantin mit seinem gelben Bus in unsere Unterkunft. Die Schüler sind in den Gastfamilien. Heute geht es früher ins Bett, da morgen der Besuch der Lena-Felsen ansteht.  

Tag 8: Abschied vom Winter am Lena-Felsen

Das Sacha-Gymnasium muss einen guten Draht zu den Göttern der oberen Welt haben. Für unseren heutigen Ausflug zum Lena-Felsen haben die Lehrkräfte für uns extra um Temperaturen im einstelligen Bereich gebeten und die Gebete wurden erhört. So zeigt das Thermometer am 7. März zum ersten Mal in diesem Jahr -7°C und in den folgenden Tagen soll die Temperatur wieder unter -15°C fallen. Diese ungewohnte Wärme führt bereits am Morgen vor der Abfahrt zu ungewohnten Schweißausbrüchen, die wir sonst eigentlich nur in den überheizten Räumen erleben. 

 

Die 200km den Lena-Strom flussaufwärts gen Süden legen wir in einem typisch russischen Bus zurück, die gleiche Marke wie der gelbe Bus von Konstantin, aber lange nicht so schön. Vorbei an endlosen schneebedeckten Weiten der Tundra, kleineren Dörfern mit typisch windschiefen Holzhäuschen und durch die Bezirkshauptstadt Pokrovsk ruckeln wir über die jakutischen Landstraßen. Es wird einem hier noch einmal richtig bewusst, wie weit wir von der Mönckebergstraße entfernt sind, und jeder macht sich so seine eigenen Gedanken zu den überwältigenden Landschaftsbildern. An einer Grenze zwischen 2 Bezirken halten wir kurz an und legen kleine Pfannkuchen als Opfergabe in Form einer Sonne in den Schnee. Wie oben bereits geschildert, sind die Götter uns aber ohnehin schon wohlgesonnen.

 

Die letzten 50km fahren wir auf der Eispiste der Lena, die mit einer Länge von über 4000km zu den längsten Flüssen der Welt zählt. Zwischen aufgetürmten Eisschollen und Felsformationen, die in der Periode des Kambriums vor über 500 Millionen Jahren entstanden sind, fahren wir auf 1,5m dickem Eis. Die Eispisten dienen von November bis April als einzige Autoverbindung zwischen beiden Ufern der Lena, da es keine Brücken über die Lena gibt. In den Sommermonaten werden die Eispisten durch Fähren ersetzt. 

 

Bevor wir zum Naturpark Lena-Felsen, seit 2012 UNESCO-Weltnaturerbe, fahren, nutzen wir die Kantine einer kleinen Dorfschule, um unsere von den Lehrkräften des Sacha-Gymnasiums mitgebrachte Mittagsverpflegung einzunehmen. In der Schule lernen 25 Kinder in den Klassen 1-9, sie werden von 50 Pädagogen und Mitarbeitern betreut. Die beiden einzigen Schülerinnen der 7. Klasse begrüßen uns herzlich. In den kleinen Unterrichtsräumen findet zum Teil noch Unterricht statt. Die Aula wird gerade für die Feierlichkeiten zum 8. März geschmückt. Besondere Aufmerksamkeit weckt die Schultoilette, die wie ein Eisstollen aussieht und nicht unbedingt zu längeren Sitzungen einlädt. Die Kritik an Hamburger Schultoiletten relativiert sich etwas.

 

Gut gestärkt fahren wir dann über die an dieser Stelle ca. 7km breite Lena an das andere Ufer. Der Winter will sich anscheinend gebührend von uns verabschieden und begrüßt uns am Lena-Felsen mit einem kleinen Schneesturm. Das soll es dann aber auch gewesen sein. Der ca. 2km lange Aufstieg durch einen traumhaften Winterwald, in dem auf roten Schildern vor wilden Bären und Elchen gewarnt wird, verläuft bei ruhigem, fast schon frühlingshaftem Wetter. Es geht 180m bergauf, schweißtreibend, über zum Teil sehr rutschige Holztreppen. Die Spieler von Freiwurf Hamburg geraten an ihre Grenzen, nicht zuletzt auch aufgrund der zu warmen Kleidung, da wir uns ja auf frostige Temperaturen eingestellt hatten. Langsam, Schritt für Schritt, mit gegenseitiger Unterstützung und Teamgeist erklimmen aber alle den Gipfel der Lena-Felsen, die sich an dieser Uferseite auf einer Länge von ca. 80km erheben. Oben werden alle mit einem tollen Blick auf die Lena und auf mit leichtem Pulverschnee bedeckte Felsformationen belohnt. Die Bilder sprechen für sich.

 

Nach dem Abstieg lädt die Sonne zu Rutschpartien und Schneespielen am Lena-Ufer ein. Mit einem Energie-Tanz nehmen wir als Gruppe die positive Ausstrahlung der Lena-Felsen in uns auf. Es bleibt Zeit für ein Foto-Shooting im Eis. Heidi Klum würde vor Neid erblassen. Erfüllt von vielen tollen Eindrücken geht es dann wieder zurück nach Jakutsk. 

 

Die inklusive Austauschgruppe hat diese Herausforderung gemeinsam gemeistert. Ein Höhepunkt dieses interkulturellen und inklusiven Trainingscamps, der bei allen Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben wird. 

 

Am 8. März stehen Freizeit und Abschlussabend in einem Restaurant auf dem Programm. Der Aufenthalt in Jakutsk neigt sich dem Ende entgegen. Alle Beteiligten blicken mit gemischten Gefühlen auf die bevorstehende Rückreise in das regnerische Hamburg. Die vielen Eindrücke und Erfahrungen müssen nun erstmal verarbeitet werden. Dazu dann später aus Hamburg mehr. Am Samstag um 08:45 Uhr Ortszeit startet das Flugzeug nach Moskau. Wenn alles planmäßig verläuft, kommen wir dann am gleichen Tag um 17:25 Uhr am Hauptbahnhof in Hamburg an. Der Direktorin und allen am Programm beteiligten Lehrkräften vom Sacha-Gymnasium schon mal jetzt ein herzliches Barga Machtal, was aus dem Jakutischen übersetzt Vielen Dank heißt.

Tag 9: Gefrorene Fische und warme Worte zum Abschluss

Der 8. März zählt zu den wichtigsten Feiertagen in Jakutsk. Es ist nicht nur der Ehrentag der Frauen, die sich über Glückwünsche, Blumensträuße und andere Geschenke freuen können, der Tag gilt auch als Fest zum Frühlingsanfang. An den Straßen und auf Parkplätzen stehen zu Blumenläden umfunktionierte Busse, in denen importierte Blumen aller Art verkauft werden. Familien nutzen den Tag für Ausflüge in Stadt und Umgebung. Es wird auch schon mal der Grill aktiviert, um ein Picknick in der Natur mit würzigem Schaschlik zu bereichern. Alles bei wohlgemerkt immer noch recht niedrigen Temperaturen um -12°C. 

 

Für uns steht der letzte Tag auf dem Programm. Die Schülerinnen und Schüler bleiben zunächst in den Gastfamilien, die Handballgruppe nutzt den Tag für einen gemeinsamen Stadtbummel mit der Deutschlehrerin Maria. Da das Personal im Rehabilitationszentrum auch frei hat und auch der gelbe Bus heute ruht, damit Konstantin den Tag mit seiner Familie verbringen kann, fahren wir zunächst mit 2 Taxen zum Café Travellers, wo wir ein reichhaltiges Frühstück zu uns nehmen. Die Fahrt für die ca. 10 km lange Strecke kostet 5 Euro. Für die Bestellung eines Taxis wird eine App verwendet, ähnlich wie MyTaxi.

 

Nach dem Frühstück begeben wir uns auf einen Stadt-, Markt- und Geschäftsbummel. Im Unterschied zu deutschen Städten haben auch am Feiertag nahezu alle Läden und Marktstände geöffnet. Wir fahren eine Strecke mit einem öffentlichen Bus, der Preis beträgt unabhängig von der Anzahl der Haltestellen 40 Cent pro Person, bezahlt wird direkt beim Fahrer vor dem Aussteigen. Auf dem Stadtbummel kommen wir unter anderem am Zirkus von Jakutsk vorbei, in dem gestern, am 7. März, die Gruppe Dschingis Khan aus Deutschland ein Konzert gegeben hat. Welch ein Zufall, wo doch jede unserer Fahrten im gelben Bus von Konstantin von Liedern dieser Gruppe begleitet wurde.  

 

In Lebensmittelgeschäften und auf den Marktständen sind die Auslagen mit frischem Obst, Gemüse, Fleisch- und Fischprodukten gut gefüllt. Die Verkäuferinnen stehen nicht selten um eine geöffnete Sektflasche herum und prosten sich zum internationalen Frauentag zu. Es herrscht insgesamt eine fröhliche und geschäftige Stimmung. Nur die gefrorenen Fische stehen recht steif in ihren Kartons. Das obligatorische Foto dieser Art der Tiefkühlhaltung, die in nahezu jeder Dokumentation über die kälteste Stadt der Welt vorkommt, darf natürlich nicht fehlen. Wir wandeln auch durch verschiedene Einkaufspassagen und die letzten Rubel werden für typisch jakutische Souvenirs wie Maultrommel und Schlüsselanhänger aus Mammut-Elfenbein ausgegeben.

 

Am Abend treffen sich alle Gäste und Gastgeber zu einem Abschlussabend in einem Restaurant. Für eine Schülerin aus Hamburg ist es auch gleichzeitig ihre Geburtstagsfeier. Bei Schaschlik und weiteren schmackhaften Beilagen und Salaten werden die zurückliegenden Tage in Toasts und Dankesworten in Erinnerung gerufen. Musikalische Beiträge auf Deutsch, Russisch, Jakutisch und Englisch lockern das Programm auf, und mancher Beitrag ist so herzlich, dass die ein oder andere Träne über leicht gerötete Wangen kullert. Die erlebnisreichen Tage haben ganz verschiedene Menschen einander nähergebracht. Sprachbarrieren wurden kreativ überwunden, alle haben mit ihrer sozialen Kompetenz und ihren individuellen Fähigkeiten dazu beigetragen, dass Andersartigkeit als Bereicherung erfahren und keiner ausgegrenzt wurde. Sowohl im persönlichen Bereich zwischen den Teilnehmern als auch im institutionellen Bereich zwischen den am Projekt beteiligten schulischen und außerschulischen Einrichtungen sind Brücken zum Dialog gebaut worden, die für den weiteren Austausch und für die weitere Zusammenarbeit genutzt werden können.  

 

Samstagmorgen um 06:00 Uhr,  die Temperatur ist auf -20°C gefallen, steht Konstantin wieder mit seinem gelben Bus vor unserer Unterkunft. Dschingis Khan begleitet uns ein letztes Mal über die Straßen von Jakutsk bis zum Flughafen. Pünktlich um 08:45 Uhr Ortszeit hebt die Boeing 737 der Aeroflot von der leicht verschneiten Startbahn mit Zielort Moskau ab. Nach Zwischenaufenthalten in Moskau und Berlin kommen wir am gleichen Tag etwas müde aber pünktlich um 17:24 Uhr Ortszeit mit einem ICE am Hamburg Hauptbahnhof an und werden von Eltern und Familienangehörigen begrüßt. Uns vereinen die gemeinsamen unvergesslichen Erlebnisse der letzten Tage in der kältesten Stadt der Welt, im Fernen Osten Russlands. 

 

Die kommenden Stunden und Tage verbringt jeder auf seine Art. Manch einer freut sich auf das Derby HSV-St. Pauli, andere fahren noch eine Woche in die Ferien nach Dänemark oder müssen am Montag bereits wieder arbeiten. Die Verarbeitung der Bilder und Erlebnisse wird uns sicher alle noch eine Weile beschäftigen. Eine Auswertung des Projektes wird folgen. Für Samstag, den 23.03. haben wir uns schon zu dem nächsten Tanzworkshop verabredet, am 30.03. findet das Saison-Finale der Freiwurf Hamburg Liga statt. Bereits an dieser Stelle kann festgehalten werden, dass das Motto „2 gewinnt!“ der Förderlinie der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch für die Kooperation der inklusiven Handballmannschaft des AMTV Hamburg https://www.amtv.de/ und die Schülergruppe der Gyula-Trebitsch-Schule http://www.gyula-trebitsch-schule-tonndorf.devoll aufgegangen ist. 

 

Was sind wir?  Ein Team! Ein Team, das neue Freunde und Eindrücke gewonnen hat. 

 

Mein Dank gilt an dieser Stelle den Fördereinrichtungen „Aktion Mensch“ https://www.aktion-mensch.deund Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch https://www.stiftung-drja.de, ohne deren finanzielle Unterstützung das inklusive Austauschprojekt nicht möglich gewesen wäre.   

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