Unter dem Motto "AndersSein vereint, einfach Mensch sein - Schülerinnen und Schüler aus Hamburg und Jakutsk erkunden das Leben in einer inklusiven Gesellschaft startet am 3.5. ein Schüleraustauschprojekt mit dem Sacha-Gymnasium in Jakutsk, Sibirien, Russland, an dem auch 6 Schülerinnen und Schüler der Gyula Trebitsch Schule teilnehmen. Die erste Station war am Dienstag die Hauptstadt Berlin. Nach der Ankunft am Abend wurden wir im Außenministerium empfangen, wo wir eine Petition zum neuen Visainformationssystem überreichen konnten, dass die Visabeantragung für russische Gruppen erschwert. Im Anschluss folgte ein Besuch in der Reichstagskuppel. Am Mittwoch um 09:50 Uhr ging es dann weiter mit dem Flugzeug in die Hauptstadt Moskau. Während eines vierstündigen Aufenthalts auf dem Flughafen Sheremetjevo wurden erste praktische Erfahrungen mit der russischen Sprache gemacht. Um 17:50 Uhr Ortszeit dann der Weiterflug nach Jakutsk, durch die Nacht der Sonne entgegen. In der recht engen Boing 737-800 war an Schlaf kaum zu denken. So wurde die Zeit mit angeregten Unterhaltungen, Spielen und mit Blicken auf den Sonnenuntergang im Europäischen Teil und auf den Sonnenaufgang im Fernen Osten Sibiriens verbracht. Nach ca. 7 Stunden Flugzeit landeten wir dann um 07:00 Uhr Ortszeit (+7 Stunden) müde, aufgeregt und glücklich im schneebedeckten Jakutsk. In der Nacht hatte es unerwartet noch einmal geschneit. Nach einer herzlichen Begrüßung durch die Schulleitung, die Eltern und Schüler vom Sacha-Gymnasium Jakutsk ging es dann erst mal in die Gastfamilien. Einige Hamburger Schüler konnten es nicht erwarten und nahmen gleich am Unterricht teil, andere ruhten sich etwas aus. Das offizielle Austauschprogramm startet morgen.
Mit Sonnenschein und blauer Himmel begrüßt uns der zweite Tag in Jakutsk. Alle Hamburger Schülerinnen und Schüler nehmen mit ihren Austauschpartnern am regulären Unterricht teil. Russische Literatur, Jakutische Sprachen, Mathematik, Technik, Geographie – alle Fächer finden in den jeweiligen Kabinetten der Lehrkräfte statt, der Unterricht läuft noch im 45-Minuten Takt. Die Pause wird genutzt, um den Raum zu wechseln und erste Eindrücke auszutauschen. Viele verwundert der Umgang mit dem Handy. Einige Lehrkräfte scheint es überhaupt nicht zu stören, wenn die Schüler im Unterricht mit dem Handy spielen, Nachrichten schreiben oder im Internet surfen. Das kommt unseren Hamburger Schülern natürlich sehr gelegen. In der WhattsApp-Gruppe wird sich rege ausgetauscht. Hier ein kurzer Auszug:
Was macht ihr? –Rumsitzen im Unterricht.– Voll cool hier im Unterricht. – Es gibt hier so eine Lehrerin, sie schreit etwas auf Jakutisch. – Seit wann kannst du Jakutisch? (...)
In der vierten Stunde werden alle Austauschschüler mit ihren Partnern in ein Kabinett gebeten. Sie werden über bestimmte Verhaltensregeln während des Aufenthalts in Jakutsk belehrt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde erhalten die Schüler eine Aufgabe, an der sie in den kommenden Tagen in Kleingruppen arbeiten sollen. Sie lautet:
„AndersSein vereint – einfach Mensch sein – macht euch dazu Gedanken, was es für euch bedeutet und erstellt ein Plakat oder eine Fotocollage mit euren Gedanken und Ideen dazu.“
Die Plakate sollen dann am letzten Tag präsentiert werden. Mit einem musikalischen Programm werden wir dann um 13:30 Uhr im großen Saal offiziell begrüßt. Am Nachmittag stehen das Museum für jakutische Geschichte und ein Stadtbummel auf dem Programm. Die Schule und die Stadt bereiten sich auf die Feierlichkeiten zum 9. Mai, dem Tag des Sieges im großen Vaterländischen Krieges vor. Eine Klasse hat auf dem Schulhof Kreidebilder dazu gemalt. In der Stadt hängen an verschiedenen Orten Plakate. Am Abend fallen dann alle müde aber erfüllt mit neuen Eindrücken und hoffentlich auch mit einigen neuen Vokabeln ins Bett.
Am Samstag besuchen wir nach dem Unterricht das Mammut-Museum in Jakutsk. Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 10.000 Jahren sind die Mammuts ausgestorben. Im Permafrostboden rund um Jakutsk sind ihre Überreste erhalten geblieben. Von einzelnen Knochen und Zähnen bis hin zu fast vollständigen Tieren bringt der auftauende Boden alles zu Tage. Viele Exponate befinden sich in der eindrucksvollen Ausstellung des Mammut-Museums. Der mehr als 10 kg schwere Mammutzahn und das in Originalgröße ausgestellte Mammut, für dessen Fell 140 Pferde Haare lassen mussten vermitteln einen nachhaltigen Eindruck von der Größe der Tiere. Bei einem der letzten Pfunde im Permafrostboden wurde flüssiges Blut in einem 40.000 Jahre alten Mammut gefunden. Jetzt erhoffen sich die Wissenschaftler, dass sie die Zellstruktur entschlüsseln und ein Mammut klonen können.
Der 8. und 9. Mai stehen ganz im Zeichen der Feierlichkeiten zum Ende des 2. Weltkrieges und dem Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland. Überall in Jakutsk finden verschiedene Gedenkveranstaltungen für und mit Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges statt. Auch wenn die Kampfhandlungen selbst nicht bis Jakutsk vorgedrungen sind, hat nahezu jede Familie Opfer zu beklagen. Am Abend des 8. Mai nehmen wir mit unseren Austauschpartnern und vielen Schülern und Lehrkräften des Sacha-Gymnasiums an der Veranstaltung „Свеча памяти– Kerze des Gedenkens“ teil. Nach einem 1,5 stündigen Gedenkzug im Schritttempo werden die Lichter am Denkmal „Ewige Flamme“ abgestellt. Es ist ein bewegender und zugleich hoffnungsvoller Moment, da wir gemeinsam mit unseren russischen Partnern den Opfern des Krieges gedenken und uns alle sicher sind, dass sich so ein schrecklicher Krieg nie wiederholen darf. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges steht die große Parade auf dem Programm. Da auch eine Abordnung des Sacha-Gymnasiums mit marschiert, stehen wir direkt am Startpunkt, neben der Bühne, auf der unter anderem der Präsident Jakutiens eine Rede hält. Der zunächst streng militärische Charakter der Veranstaltung geht in die feierliche Atmosphäre eines Volksfestes über, das am Abend durch ein großes Feuerwerk ausklingt. Man hat den Eindruck, dass das gemeinsame Erleben dieser eindrucksvollen Gedenkveranstaltung die Austauschgruppe noch näher zusammengebracht hat. Sprachbarrieren werden kleiner, die Andersartigkeit weckt Interesse und Gemeinsamkeiten treten stärker hervor.
Jakutien ist reich an Bodenschätzen wie Edelmetallen, Erdöl, Erdgas, Kohleoder Diamanten. Sein Anteil an der weltweiten Diamantenförderung liegt bei über 13 %, wobei die Jakuten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion selbst das Recht besitzen, die Rohdiamanten zu verarbeiten. So gibt es in Jakutsk eine Reihe von Fabriken, in denen aus dem wertvollen Rohstoff Brillanten hergestellt werden. Am Dienstag haben wir nach dem Unterricht die Möglichkeit, die einzelnen Verarbeitungsschritte vom Rohdiamanten zum Brillanten kennenzulernen. Die Diamanten werden zunächst von einer computergesteuerten Maschine gescannt, ihre Struktur wird erfasst, dann werden sie in 2 Hälften geteilt und maschinell zu Brillanten verschiedener Form und Wertigkeit geschliffen. Dabei lösen sich bis zu 40% des wertvollen Materials in Staub auf. Der letzte Schliff erfolgt dann per Hand. Wenigstens für einen kurzen Moment können die Schülerinnen Brillanten mit einem Wert von bis zu 10.000 Dollar zwischen den Fingern halten.
Am Nachmittag steht der Besuch eines Ferienlagers auf dem Programm, das das Sacha-Gymnasium im vergangenen Jahr von der Stadtverwaltung erhalten hat. Nach Renovierungsarbeiten sollen dort ab dem kommenden Jahr Ferienprogramme durchgeführt werden, eventuell auch mit Gruppen aus Hamburg. Das Lager liegt an der Lena, die mit einer Länge von 4295 km zu den längsten Flüssen der Welt zählt. Nach dem Erklimmen des „Haushügels“ und einem Besuch an der noch weitgehend eisbedeckten Lena wird ein Picknick mit russischem Schaschlik veranstaltet und alle Schülerinnen und Schüler spielen zusammen verschiedene Spiele. Den für diese Tage erwarteten Eisbruch auf der Lena, ein besonderes Naturschauspiel wenn das Eis aufbricht und stromabwärts fließt, erleben wir leider noch nicht. Vielleicht passiert es noch vor unserem Rückflug nach Hamburg.
Der Mittwoch steht ganz im Zeichen von Sport und Kultur. Bei einem Handballturnier mit gemischten Mannschaften und etwas abgewandelten Regeln wird in spannenden Spielen die Siegermannschaft ermittelt. Am Nachmittag erhalten wir eine Führung durch das Sacha-Theater und erleben eine Probe eines inklusiven Theaterprojektes. Die Premiere des Stückes „Alice im Wunderland“ findet im Juni statt. Das Theaterprojekt wird geleitet von Gernot Grimm und seiner Frau, die als Regisseurin am Sacha-Theater arbeitet. Gernot Grimm kommt ursprünglich aus Hamburg-Harburg und lebt schon mehrere Jahre in Jakutsk. Die Welt ist klein.
Der Besuch des Internats für Schülerinnen und Schüler mit Seh- und Hörbehinderung am Donnerstag gehört zu den eindrucksvollsten Programmpunkten des Projektes. Die musikalische Begrüßung der Trommler und Tänzerinnen zeigt ausdrucksstark die Vielfalt der jakutischen Kultur und bei dem Duett von zwei Schülerinnen des Internats haben einige Tränen in den Augen. Das Lied der sehbehinderten Sängerin wird von ihrer Partnerin in Gebärdensprache gezeigt. Im Anschluss folgt ein sportlicher Wettkampf im Goalball. Goalballist die weltweit beliebteste Ballsportart für Menschen mit Sehbehinderung und bereits seit 1976paralympisch. Das Ziel des Spiels besteht darin, einen 1250 g schweren Klingelball in das gegnerische Tor zu werfen. Dabei stehen sich die beiden Mannschaften, die aus jeweils drei Spielern bestehen, auf einem 9 x 18 m großen Spielfeld gegenüber. Die Tore sind jeweils 9 m breit und 1,30 m hoch.Das Spiel wird mit verbundenen Augen gespielt, damit alle Spieler unabhängig vom Grad der Sehbehinderung unter gleichen Bedingungen teilnehmen. Im Anschluss an den sportlichen Teil wird in Kleingruppen, zusammengesetzt aus Schülern aus Hamburg, vom Sacha-Gymnasium und von dem Internat, an den Plakaten zu Projektmotto „AndersSein vereint – einfach Mensch sein“ gearbeitet. Gemäß dem Motto wird trotz aller sprachlichen Barrieren schnell eine gemeinsame „Arbeitssprache“ gefunden, die die Darstellung von Gedanken zu dem Motto in Bild und Schrift ermöglicht. Die Plakate werden am Freitag noch etwas vervollständigt und zeigen eindrucksvoll vielfältige Interpretationen des Mottos.
Bevor die Plakate im Rahmen der Abschlussveranstaltung „Abend der Freundschaft“ in der Aula des Sacha-Gymnasiums präsentiert werden, begibt sich die Gruppe noch in einen begehbaren Kühlschrank. Das „Königreich des Permafrostes“ ist ein Stollen in einer Hügelkette am Rande von Jakutsk, in dem ganzjährig eine Temperatur von ca. -20°C herrscht. Mit „Astronautenmänteln“ steigen wir in die Kälte. Jakutische Künstler haben hier verschiedenen Themen und Motive in Eis gehauen. Neben traditionellen jakutischen Märchen- und Sagengestalten dürfen natürlich Väterchen Frost und das Mammut nicht fehlen. Wer mag kann sich aber auch in der Eisbar oder in dem Schlafzimmer für eine eisgekühlte Hochzeitsnacht aufhalten. In einem Extraraum kann darüber hinaus ein 25.000 Jahre alter Mammutschädel begrüßt werden. Der penetrante Geruch des erstaunlich gut erhaltenen Schädels macht das Zusammentreffen zu einem nachhaltigen Erlebnis.
Am „Abend der Freundschaft“ zeigt sich, dass die Andersartigkeit die Projektteilnehmer tatsächlich vereint hat. Die Arbeitsgruppen präsentieren ihre Gedanken zum Projektthema anhand von Plakaten und Filmen. Aufgelockert durch musikalische Beiträge schildern die Gastfamilien ihre Erlebnisse mit ihren Gastkindern, Gastschwestern und Gastbrüdern. Trotz mancher Sprachbarriere haben alle Beteiligten viel voneinander, übereinander und miteinander gelernt.
Bei stimmungsvoller Discomusik verwischen dann alle Unterschiede und es wird ausgelassen getanzt und gefeiert. Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Kooperation zwischen Hamburg und dem Sacha-Gymnasium fortgesetzt werden soll. Das nächste Projekt ist schon geplant. Im Juni kommen 12 Schülerinnen und Schüler aus Jakutsk zu einem vierwöchigen Gastschulaufenthalt nach Hamburg. Sie werden dann den Alltag in deutschen Familien und den Unterricht am Christianeum, am Walddörfer Gymnasium, am Gymnasium Buckhorn und an der Gyula Trebitsch Schule kennenlernen. До встречи в Гамбурге!